Ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu und die Redaktion Datenschleuder freut sich, endlich wieder ein spannendes Heft fertiggestellt zu haben, allen widrigen Einflüssen wie crashenden Festplatten zum Trotze.
Plötzlich und wenig überraschend befindet sich die Welt im Wirtschaftskrisen-Modus. Au weia, denkt sich da der Durchschnittsbürger, was haben wir bloß für einen geldgeilen Raubtierkapitalismus an unserer Brust genährt? Vielleicht ist dies ja die Krise, für die der verdiente Minister und Verfassungsfreund Dr. Wolfgang Schäuble die Werkzeuge der Pöbelunterdrückung und Volksdisziplinierung zu brauchen meint, falls die Milliardengeschenke an die Zockerbanker nicht helfen. Die Diskussion um BKA-Gesetz, Bundestrojaner und die Aktionen dagegen haben jedenfalls gezeigt, daß es in Deutschland endlich eine – wenn auch knappe – Mehrheit für Freiheits- und Bürgerrechte gibt. Der Hirnfurz mit dem BKA-Datenschutzbeauftragten als Wächter über die Bundestrojanerbeute war aber auch zu dreist.
Das Gefühl, nicht allein zu sein im Streben nach mehr Freiheit, Glück und Demokratie, beschwingt uns durch die frustrierenderen Zeiten. Die entspannte Demo in Berlin im Oktober brachte eine erfreulich bunte und große Menschenmenge auf die Straße, was noch vor zwei Jahren praktisch undenkbar schien. Es bildet sich langsam, aber beharrlich eine umfassende Gegenposition zu den realitätsabgewandten Regierungsansichten. Die Fähigkeit der SPD, selbst aus der Bauchlage noch umfallen zu können, überrascht natürlich niemanden mehr, aber gerade im Bereich Sicherheit und Bürgerrechte zeigt sich die zunehmende geistige Umnachtung des derzeitigen Bestands der uns regierenden Internetausdrucker. Daß die SPD Jörg Tauss abschießt, den einzigen Abgeordneten, für den Internet, Datenschutz und Medienzeugs keine totalen Fremdwörter sind und der einen Browser selbständig bedienen kann, paßt da ins Bild.
Da hebt sich auch die Opposition nicht sonderlich ab. Die Grünen haben nach ein paar Jahren Abwesenheit vom Katzentisch der Regierenden nun auch Bürgerrechte wieder als Thema entdeckt. Allerdings mangelt es an Glaubwürdigen in ihren Reihen, denen man sowohl inhaltliche Kompetenz als auch Charisma unterstellen könnte. Bei den Linken sieht es nicht viel besser aus. Die Berliner Lokalfraktion arbeitet sogar aktiv mit am Ausbau des Überwachungsstaates mit brachialem Polizeigesetz und Schülerzentraldatei.
War da noch was? Achja, die FDP: Bei Burkhard Hirsch und Gerhart Baum muß man sich ob ihrer Beharrlichkeit in Sachen Gang nach Karlsruhe bedanken. Der Rest der „Liberalen“ übt sich dagegen wie immer im Fönfrisurentragen und sieht dabei reichlich alt aus. Dazu gehört seit neuestem auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die einmal mehr bewiesen hat, daß Macht korrumpiert. Im trojanergeilen Bayern überrascht das aber weniger als in anderen Regionen der Welt. Immerhin scheinen wenigstens die Jugendorganisationen der Parteien schon in der Jetztzeit angekommen zu sein und sprechen sich gemeinsam gegen das BKA-Gesetz aus. Mal schauen, ob sie sich noch an ihre Ansichten von früher erinnern, wenn sie dereinst in der Nähe des Kanzleramtes sitzen. Andrea Nahles läßt grüßen.
Zunehmende Nervosität, Unsicherheit, eine intensive Defensivhaltung und geradezu ideologische Verbohrtheit kennzeichnen mittlerweile die Argumentation der „Sicherheits“fanatiker. Seit kurzem wird andauernd mit der These argumentiert, daß „die Bürgerrechtler da“ nur das Ziel hätten, Angst und Verunsicherung zu schüren. Yeah, right. Wir haben ja auch sonst nichts zu tun… Aber alleine, daß die führenden Innenpolitiker des Landes bei öffentlichen Veranstaltungen akribisch auf ihre Fingerabdrücke an Gläsern und Tassen aufpassen, erfüllt uns mit Stolz und etwas Häme. Diese Art Verunsicherung schüren wir doch gerne. Das biometrische Sammelalbum von Problempolitikern wird natürlich weitergepflegt (Datenspenden, auch genetische, sind herzlich willkommen), Updates gibt es in einer der nächsten Ausgaben.
Seit längerem betreibt der CCC – aus dem simplen Grunde, zumindest die Chance zu haben, die oben aufgezählten Spaten auch auf demokratisch korrektem Wege in die Produktion schicken zu können – eine Kampagne gegen den automatisierten Wahlbetrug, hierzulande euphemistisch „Wahlcomputer“ genannt. In den USA hat es nur acht Jahre gedauert, bis die überwältigende Mehrheit der Wahlbevölkerung auch für die ausgefuchstesten Betrugsschemata zuviel wurde. Die Niederlande ist im Laufe des Jahres aus vernünftiger Einsicht zur Papierwahl zurückkehrt. Nur in Deutschland geht es zu wie in einer rumänische Bergdorfdisko: Die peinlichsten Trends schwappen um Jahre zu spät und dann mit unaufhaltbarer Wucht über das Land, bis am Ende wieder nur die allerletzte Hoffnung bleibt, das Bundesverfassungsgericht wusche den übereifrig modernitätsheischenden Lokalbratzen die Rübe. In Brandenburg konnte man es jüngst live besichtigen: Selbst nach über einem Jahr Computerwahldebatte entschlossen sich ein paar abgelegene märkische Sumpfdörfer zum erstmaligen Erwerb der Nedapschen Risikowahlcomputer. Wir harren sehnsüchtig der Entscheidung aus Karlsruhe und hoffen, daß nicht noch mehr Steuergelder in unförmiger Hollandblech-Althardware versenkt wird.
Ein besonderes Highlight dieser Ausgabe aus der Rubrik „Bürger beobachten Geheimdienste beim Dilettieren“ ist eine ausführliche Darstellung zu den IP-Netzen des Bundesnachrichtendienstes. Natürlich fragt sich der geneigte Leser, wie jemand klaren Geistes auf die Idee kommen kann, eine für ihr Versagen im Industriemaßstab weithin gerühmte Firma wie T-Systems mit der Betreuung der Netze des deutschen Auslands“geheim“dienstes zu beauftragen. Wir hatten zwischenzeitlich schon Furcht, daß die Welt nicht von einem schwarzen Loch am LHC, sondern von einer Inkompetenz-Singularität in Pullach vernichtet werden könnte. Es bleibt zu nur hoffen, daß da ein paar Spezialexperten demnächst auf Jobsuche sind. Vielleicht wäre ja Trainer für Bauchatmung ein angemessenes Betätigungsfeld.
Überhaupt, die Telekom. T-Systems ist nun nicht der einzige Konzernbereich, der dieses Jahr durch großzügige Informationsweitergabe und eine dermaßen schlechte Presse auffiel, daß eine neue nach unten offene Mielke-Skala geschaffen werden muß. Der Konzerngeheimdienst T-Com glänzte durch präzise und umfassende Problemkunden-Aufklärung. Ehrlicherweise bezeichnet die Telekom selbst in ihrem Datenschutzportal den hausgemachten Skandal nur leicht beschwichtigend als „Bespitzelungsaffäre“. Laut Informationen des Nachrichtenmagazins „Titanic“ hat sich der Telekom-Chef René Obermann ausweislich seiner Verbindungsdaten inzwischen persönlich bei den bespitzelten Journalisten entschuldigt und Maybrit Illner danach jeweils Bericht erstattet.
Die eigentlich für Olympia-Berichterstatter aus der „freien Welt“ gedachten Freedom-Sticks, die der CCC im Sommer dieses Jahres zu tausenden verteilte, werden wir nun an deutsche Internetnutzer ausgeben müssen. Was in China schon nicht funktionierte, soll hierzulande nämlich in reverser Transrapidlogik Bürger vor schädlichen Einflüssen wie ausländischen Lottoanbietern, feindlich-negativer Propaganda, der Konterkulturrevolution und anderen gesellschaftlichen Problembereichen, für die unsere Politiker keine sinnvollen Antworten mehr haben, behüten. Unserer prima Familienministerin Ursula von der Leyen würden wir gerne die Anleitung für das Internet zukommen lassen; bedarfsweise auch in ausgedruckter Form, zur entspannten Lektüre beim Kinderwagenschieben. Vielleicht ist ja ihr zahlreicher Nachwuchs helle genug, Mama mal zu erklären, wie das mit dem Internet so funktioniert und wieso ein kleines bißchen Zensur genauso gefährlich ist wie die chinesische Lösung. Wenn sie so weitermacht, bleibt uns allerdings nur noch, ihr statt Dummheit Bösartigkeit zu unterstellen. Zum allgemeinen Demokratieverständnis der Regierung würde das hervorragend passen. Ob da mit Bildung und Erziehung noch was zu reissen ist, darf bezweifelt werden.
Aus ‘Schland kommen nicht nur Internetausdrucker, sondern auch Häusle-Beblinker, und deshalb sind wir stolz, unserem Team Blinkenlights aus der Heimat nach Toronto zuzurufen: Volldampf voraus! Was uns sofort zum Thema Congress bringt, zu dem wir unter dem Motto „Nothing to hide“ auch nach diesem Weihnachten wieder die familien(ministerinnen)geplagten Hacker, Cracker, Phreaker und Bastler einladen, sich von der R(o)ute im localhost zu erholen. Zum nunmehr 25. Mal gibt es die gemessen höchste Nerddichte der Welt – noch vor dem MIT, dem Cern und allen CSU-Ortsvereinen. Das Programm ist dichtgepackt mit großartigen Vorträgen und Workshops und hat das Potential, Wissen, Motivation und Energie für das nächste Jahr im Überfluß zu geben.
Und was wünschen wir uns und euch fürs neue Jahr? Daß ihr verschont bleibt von Verfolgung durch den Hackerparagraphen, von erweiterter Vorratsdatenspeicherung, biometrischen Datenzentrallagern und anderen Personenkennzifferprojekten inklusive Schülernumerierung, Internetzensur, Spionagedrohnen, Wahlcomputern und klagewütigen Wahlstift-Herstellern.
<die redaktion>