Nach einem ereignisreichen Jahr, der Sommerfrische für Hacker in Finowfurt, den Dreißig-Jahr-Feiern und dem bevorstehenden 28. Chaos Communication Congress mit der schon gewohnheitsmäßigen Ticket-Rallye kommt nun die zweite Datenschleuder in diesem Jahr. Das gab es eine Weile nicht mehr: Wir treten an mit neuen Redaktionsmitgliedern und einer neuen Vertriebslogistik, und wir frönen noch der alten Kunst des eigenhändigen Verfassens von Texten.
Unterdessen hat sich der Verzicht auf das Netzsperren-Gesetz mit unsäglicher Langsamkeit durch den Bundestag gequält, auch der Innenausschuß des Europäischen Parlaments setzt sich nun für Löschen statt Sperren ein. Das war nach drei verpaßten Jahren und einem blamierten Gesetzgeber ein kleiner Grund zur Freude. Daß Netzsperren weder technisch sinnvoll sind noch das gewünschte Ziel erreichen, hat sich nun bis ins Internetministerium und bis zum letzten Parlamentarier rumgesprochen. Naja, vielleicht nicht bis zum Allerletzten: Ingo Wellenreuther von der Union blieb unbelehrbar. Warum er gegen die Anbieter der Bilder und Filme, die Kindesmißbrauch zeigen, nicht effizient vorgehen will, bleibt sein Geheimnis.
Die gefühlte Anzahl der Schafe auf der Facebook-Weide ist derweil genauso weiter explodiert wie der Abmahnwahn und die iPhone-Nutzer, nur das Urheberrecht blieb im zwanzigsten Jahrhundert stecken. Nicht nur, weil nun sogar die EU-Kommission unser Innenministerchen beim Thema Facebook überholt hat, ist uns die Vermarktungsplattform in diesem Heft einen Artikel wert, sondern vor allem, weil Alessa Becker ein wunderbares Soziogramm über die kahlrasierten Schäfchen auf der zentralisierten Datenweide entworfen hat.
Auch bei anderen Gefährdern gibt es Neugikeiten: Überraschenderweise soll der "Antiterrorkampf" jetzt gegen rechts geführt werden. Da ist es nicht ganz ohne Ironie, wenn die Ultrarechten der Union nun die Vorratsdatenspeicherung gegen den Nazisumpf, den Verfassungsschutz, den MAD und die V-Leute fordern. Zierckes Mitarbeiter dürfen sich derweil auf Kosten der Steuerzahler die gewünschten Zahlen herbeistatistiken. Und während Ministerin Kristina Schröder noch kurz zuvor nicht nur die finanzielle Unterstützung der Projekte gegen Nazis dreist an einen Treue-Schwur mit Sippenhaft knüpfte, sondern auch vor Diffamierung und Kriminalisierung nicht zurückschreckte, weht der Wind nun hoffentlich anders. Nur am längst abgelatschten Allheilmittel, der Forderung nach mehr Datensammeln, ändert sich nichts.
DigiTask und DigiNotar waren die Schlagworte der letzten Wochen. SSL ist nicht mehr zu retten, und das staatliche Mitschnorcheln via Trojaner bei Skype-Gesprächen ist endlich ins Gerede gekommen, ebenso wie die Frage der Verläßlichkeit von digitalen Beweisen beim Einsatz von Spitzelsoftware. Der CCC ist nicht ganz unschuldig an der neuen Diskussionslage. Wir hatten in der Redaktion wohl nicht mehr soviele E-Mails, Kommentare, Anfragen und Dankesbriefe seit dem Btx-Hack im November 1984. Einige ausgewählte der Kategorie "bizarr" finden sich in der Leserbrief-Sektion.
In diese Kategorie fallen neben kruden Ideen wie dem "Schultrojaner" auch die Firmen, die Staat und sonstigen Spionen ihre Soft- und Hardware zum Unterdrücken der Schutzbefohlenen feilbieten. Ob in Syrien oder Ägypten, geliefert wird dorthin, wo bezahlt wird. Auf dem 28C3 wird ein Vortrag einen Überblick über die kommerziellen Profiteure der Diktatoren aus aller Welt geben.
Ansonsten sind die Philister hinter uns her. Mal machen wir zuviel mit dieser Zeitung, mal zu viel mit jener, mal sind wir zu dicht an den Piraten, dann wieder allgemein zu politik(er)nah, meistens allerdings äußern wir uns zu wenig zu irgendwo im Internet umgekippten Bit-Säcken. Die Politik sieht uns schon als Malware-Prüfinstanz und Entwerfer von verfassungskonformen Trojanerspezifikationen (als wenn es sowas gäbe). Und fast alle sehen uns wenigstens aber als Computer- und Internet-ADAC. Man wünscht sich spontan mehr Urbanität unter den Netz-Zuzüglern, weniger Pampering-Attitüde.
Der CCC wollte, will und wird sein: ein Hackerclub, der zuerst seinem eigenen Anspruch gerecht werden muß. Und der besteht darin, Spaß zu haben, die Welt zu verstehen und sie ein kleines bißchen besser zu machen. Wir müssen nichts, wir wollen nur manchmal. Und jedenfalls sind wir nicht so blöde und helfen beim Bespitzeln unserer Nachbarn oder greifen Despoten unter die Arme.
Ein kleiner Ausblick auf die nächste Datenschleuder noch: Wir planen ein Themenheft über Körperdaten, genetische und biometrische, und ihre Erfassung. Denn Gattaca scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein, seit DNA-Schnell-Identifikationssysteme am Markt sind und die Bundesregierung mit der Aufnahme genetischer Daten in den Personalausweis liebäugelt.